Andreas Kirchtag ist die vierte Generation Schirmemacher bei Kirchtag in der Getreidegasse. Das kleine Geschäft samt Werkstätte gibt es seit 1903. Andreas Kirchtag kann nicht nur exzellente, handgemachte Schirme herstellen (13 Mitarbeiter), er besitzt auch die Gabe, die Menschen mit Hingabe arbeiten zu lassen: „Selbstverständlich arbeiten bei mir alle in höchster Eigenverantwortung, was soll ich da kontrollieren anfangen?“
Andreas Kirchtag erzählt mir vom Wert des Umgangs mit Pferden (er war als Springreiter auf internationalen Großturnieren), dem überproportionalen Anteil von Musikern in seiner Schirmproduktion und eben Hingabe zur Arbeit, neudeutsch „Flow“ genannt. Kunden kommen oft zu Kirchtag und gehen mit einem Gefühl, kurz in einer anderen Welt gewesen zu sein.
Wie machst Du es denn, dass Deine Mitarbeiter tagtäglich in den Flow kommen?
Andreas Kirchtag: Es entsteht eine Beziehung zu den Mitarbeitern im Laufe der Zeit. Man muss die Menschen so nehmen, wie sie sind. Es hat jeder seine Fehler, genauso wie ich. Wir haben alle verschiedenen Charaktere mit vielen Stärken, die es zu forcieren gilt. Mitarbeiter dürfen sich bei uns frei entwickeln. Wir arbeiten auf relativ engen Raum zusammen. Die Frage, was wir heute und morgen produzieren ist schnell auf kurzem Weg abgestimmt. Es ist gewünscht, dass alle Ideen einbringen, und wir trachten danach, diese neuen Ideen auch umzusetzen. Unser Schirm ist ein wertvolles und schönes Produkt ist. Diese Ästhetik färbt auf den Arbeitsprozess ab.
Betreibt du im Betrieb also Kunsthandwerk?
Kunsthandwerk ist ein wenig zu hoch gegriffen. Schirmemachen ist ein Handwerk, das nicht so einfach ist. Unser Schirm besteht aus einem durchgehenden Stock, der in ca. 20 verschiedenen Holzarten zu haben ist. Wir schneiden unseren Schirm runder, das entspricht Gott sei Dank heute dem Zeitgeist, es sorgt nämlich für Stabilität. Die Stoffe für die Schirme lassen wir speziell für unsere Bedürfnisse herstellen.
Wir beteiligen uns an der jährlichen Altstadt-Veranstaltung Hand.Kopf.Werk, die das Handwerk propagiert. Heuer erzählen wir das Märchen „Wetterhexe“. Ich stelle Räumlichkeiten und Arbeitszeit zur Verfügung. Meine Mitarbeiter leisten die Entwicklungsarbeit, wobei sie auch Freizeitarbeit einbringen. Wir wollen unsere Kreativität herzeigen. Ich möchte etwas Spezielles, etwas, was über eine normale Firmenführung hinausgeht. Ich verlasse mich da ganz auf meine Leute. Über Hand.Kopf.Werk habe ich auch einmal einen jetzigen Mitarbeiter kennen gelernt. Er hat bei der Veranstaltung Kostüme genäht. Ich habe ihn angesprochen und er ist gekommen.
Wie rekrutierst Du?
Die meisten Beschäftigten bei uns bleiben bis zur Pensionierung bei uns. Mein vorheriger Schirmemachermeister war 70 Jahre alt und wollte in Rente gehen. Er wollte aber erst aufhören, wenn jemand geeigneter gefunden war.
Er hat uns jemanden empfohlen, der Dachdecker und Musiker war. Ich dachte mir: Dachdecken und Schirmemachen ist ähnlich, außerdem braucht es für beide Berufe handwerkliches Geschick. Der Bewerber hat sich informiert und interessiert. Ich habe ihm flexibles Arbeiten zugesichert, damit er sein Musikerleben gestalten kann. Wir haben in den Gesprächen nicht nur über Schirme gesprochen. Die Chemie hat von der ersten Minute an zwischen ihm und mir gepasst. Seinen Lebenslauf habe ich mir gar nicht angesehen, Bewerbungsschreiben gab es nicht.
Ein weiterer Mitarbeiter, der auch auf Empfehlung gekommen ist, hatte die Schule abgebrochen. Er hat sich bei uns derart stabilisiert, dass er nun die Matura nachgeholt hat und derzeit ein Hochschulstudium absolviert. Dann hatten wir noch den Fall, dass sich ein junger Mann – auch mit musikalischem Hintergrund – bei uns gemeldet hat, mit dem Wunsch Schirmemacher zu werden. Es gibt gar nicht mehr den Lehrberuf dazu. Würde ich einen suchen, der Schirmemacher werden will, den finde ich in 100 Jahren auf herkömmlichem Wege nicht. Auch den haben wir genommen, weil wir ihm die Ambition geglaubt haben.
Du hast eine Häufung von Musikern, die Deine Schirme herstellen?
Irgendwie sind die positiv anders. Wir haben einen Bassgitarristen und einen Jazzmusiker, der Tabla (eine Trommelart) spielt, in der Gestellwerkstatt. Letzterer tritt zum Beispiel auch bei Jazz and The City, der großen Jazzveranstaltung in der Salzburger Innenstadt, auf. Bei diesem Musikfestival funktionieren wir die Werkstätte einmal jährlich in einen Mini-Veranstaltungsraum um. Die Werkstätte im vierten Stock des Hauses Getreidegasse 22 (erbaut 1296!) hat eine besondere Atmosphäre, es finden nur 25 Zuschauer Platz. Wir sind jedes Mal mit sehr viel Andrang konfrontiert.
Du persönlich hast früher an internationalen Springreitturnieren teilgenommen. Kannst Du Parallelen zwischen dem Umgang mit Pferden und Leadership im Job herstellen?
Man kann ein Pferd nicht zu Dingen zwingen. Das Pferd spürt zum Beispiel den Stress des Reiters und Abläufe funktionieren schlechter. Als Berufsreiter musste ich praktisch immer entspannt sein. Sich in so eine Situation hineinzuversetzen ist keine Selbstverständlichkeit. Ich habe mir ein feines Sensorium antrainiert, ich spüre, wenn etwas nicht stimmt. Dem widme ich viel Aufmerksamkeit. Ich agiere gerne als Mediator und strebe Lösungen an, die für alle Konfliktparteien Vorteile bieten.
Als Schirmehersteller freut ihr Euch, wenn es regnet?
Für das Geschäft ist es das Beste, wenn es um 10 Uhr 30 zu regnen beginnt. Wir führen seit langer Zeit in unserem Unternehmen Wetteraufzeichnungen und haben eine Einteilung in Wetter 1 – 3 vorgenommen. Das geht von Sonnenschein über teilweisen Niederschlag bis hin zu Wetter 3 mit Dauerregen. Früher war ein Schirm ein modisches Accessoire, diesen Anspruch wollen wir wieder forcieren. Unser Schirm wird auch bei schönem Wetter gekauft. Die Leute nehmen sich Zeit für diese Investition. Sie treten heraus aus der touristischen Getreidegasse, hinein in eine Erlebniswelt voll Ruhe und Flair.
„WorkVision“ ist eine Serie der „SW“ über zukunftsträchtige Ansätze rund um modernes Arbeiten im Bundesland Salzburg. Die Reihe wird von Christian Holzer, Work-Life-Balance-Experte in Unternehmens- und Karrierefragen, gestaltet. Die Interviewpartner werden in der Radiofabrikreihe „Fair-Play“ vor das Mikrofon geholt (www.radiofabrik.at).
Das WorkVision BarCamp am Techno-Z Salzburg ist Lernraum für Selbstwirksamkeit, Lebensfreude und Gestaltung für inspirierte Menschen aus Unternehmen.
Christian Holzer
Work-Life-Balance Unternehmensberater und Karrierecoach, Betreiber ei-Institut Salzburg, SN-Karrierekolumnist, Buchautor, Karriereseminare auf FH und Universität Salzburg. Systemischer Coach und Reggio Grundausbildung.
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Andreas Kirchtag erzählt mir vom Wert des Umgangs mit Pferden (er war als Springreiter auf internationalen Großturnieren), dem überproportionalen Anteil von Musikern in seiner Schirmproduktion und eben Hingabe zur Arbeit, neudeutsch „Flow“ genannt. Kunden kommen oft zu Kirchtag und gehen mit einem Gefühl, kurz in einer anderen Welt gewesen zu sein.
Wie machst Du es denn, dass Deine Mitarbeiter tagtäglich in den Flow kommen?
Andreas Kirchtag: Es entsteht eine Beziehung zu den Mitarbeitern im Laufe der Zeit. Man muss die Menschen so nehmen, wie sie sind. Es hat jeder seine Fehler, genauso wie ich. Wir haben alle verschiedenen Charaktere mit vielen Stärken, die es zu forcieren gilt. Mitarbeiter dürfen sich bei uns frei entwickeln. Wir arbeiten auf relativ engen Raum zusammen. Die Frage, was wir heute und morgen produzieren ist schnell auf kurzem Weg abgestimmt. Es ist gewünscht, dass alle Ideen einbringen, und wir trachten danach, diese neuen Ideen auch umzusetzen. Unser Schirm ist ein wertvolles und schönes Produkt ist. Diese Ästhetik färbt auf den Arbeitsprozess ab.
Betreibt du im Betrieb also Kunsthandwerk?
Kunsthandwerk ist ein wenig zu hoch gegriffen. Schirmemachen ist ein Handwerk, das nicht so einfach ist. Unser Schirm besteht aus einem durchgehenden Stock, der in ca. 20 verschiedenen Holzarten zu haben ist. Wir schneiden unseren Schirm runder, das entspricht Gott sei Dank heute dem Zeitgeist, es sorgt nämlich für Stabilität. Die Stoffe für die Schirme lassen wir speziell für unsere Bedürfnisse herstellen.
Wir beteiligen uns an der jährlichen Altstadt-Veranstaltung Hand.Kopf.Werk, die das Handwerk propagiert. Heuer erzählen wir das Märchen „Wetterhexe“. Ich stelle Räumlichkeiten und Arbeitszeit zur Verfügung. Meine Mitarbeiter leisten die Entwicklungsarbeit, wobei sie auch Freizeitarbeit einbringen. Wir wollen unsere Kreativität herzeigen. Ich möchte etwas Spezielles, etwas, was über eine normale Firmenführung hinausgeht. Ich verlasse mich da ganz auf meine Leute. Über Hand.Kopf.Werk habe ich auch einmal einen jetzigen Mitarbeiter kennen gelernt. Er hat bei der Veranstaltung Kostüme genäht. Ich habe ihn angesprochen und er ist gekommen.
Wie rekrutierst Du?
Die meisten Beschäftigten bei uns bleiben bis zur Pensionierung bei uns. Mein vorheriger Schirmemachermeister war 70 Jahre alt und wollte in Rente gehen. Er wollte aber erst aufhören, wenn jemand geeigneter gefunden war.
Er hat uns jemanden empfohlen, der Dachdecker und Musiker war. Ich dachte mir: Dachdecken und Schirmemachen ist ähnlich, außerdem braucht es für beide Berufe handwerkliches Geschick. Der Bewerber hat sich informiert und interessiert. Ich habe ihm flexibles Arbeiten zugesichert, damit er sein Musikerleben gestalten kann. Wir haben in den Gesprächen nicht nur über Schirme gesprochen. Die Chemie hat von der ersten Minute an zwischen ihm und mir gepasst. Seinen Lebenslauf habe ich mir gar nicht angesehen, Bewerbungsschreiben gab es nicht.
Ein weiterer Mitarbeiter, der auch auf Empfehlung gekommen ist, hatte die Schule abgebrochen. Er hat sich bei uns derart stabilisiert, dass er nun die Matura nachgeholt hat und derzeit ein Hochschulstudium absolviert. Dann hatten wir noch den Fall, dass sich ein junger Mann – auch mit musikalischem Hintergrund – bei uns gemeldet hat, mit dem Wunsch Schirmemacher zu werden. Es gibt gar nicht mehr den Lehrberuf dazu. Würde ich einen suchen, der Schirmemacher werden will, den finde ich in 100 Jahren auf herkömmlichem Wege nicht. Auch den haben wir genommen, weil wir ihm die Ambition geglaubt haben.
Du hast eine Häufung von Musikern, die Deine Schirme herstellen?
Irgendwie sind die positiv anders. Wir haben einen Bassgitarristen und einen Jazzmusiker, der Tabla (eine Trommelart) spielt, in der Gestellwerkstatt. Letzterer tritt zum Beispiel auch bei Jazz and The City, der großen Jazzveranstaltung in der Salzburger Innenstadt, auf. Bei diesem Musikfestival funktionieren wir die Werkstätte einmal jährlich in einen Mini-Veranstaltungsraum um. Die Werkstätte im vierten Stock des Hauses Getreidegasse 22 (erbaut 1296!) hat eine besondere Atmosphäre, es finden nur 25 Zuschauer Platz. Wir sind jedes Mal mit sehr viel Andrang konfrontiert.
Du persönlich hast früher an internationalen Springreitturnieren teilgenommen. Kannst Du Parallelen zwischen dem Umgang mit Pferden und Leadership im Job herstellen?
Man kann ein Pferd nicht zu Dingen zwingen. Das Pferd spürt zum Beispiel den Stress des Reiters und Abläufe funktionieren schlechter. Als Berufsreiter musste ich praktisch immer entspannt sein. Sich in so eine Situation hineinzuversetzen ist keine Selbstverständlichkeit. Ich habe mir ein feines Sensorium antrainiert, ich spüre, wenn etwas nicht stimmt. Dem widme ich viel Aufmerksamkeit. Ich agiere gerne als Mediator und strebe Lösungen an, die für alle Konfliktparteien Vorteile bieten.
Als Schirmehersteller freut ihr Euch, wenn es regnet?
Für das Geschäft ist es das Beste, wenn es um 10 Uhr 30 zu regnen beginnt. Wir führen seit langer Zeit in unserem Unternehmen Wetteraufzeichnungen und haben eine Einteilung in Wetter 1 – 3 vorgenommen. Das geht von Sonnenschein über teilweisen Niederschlag bis hin zu Wetter 3 mit Dauerregen. Früher war ein Schirm ein modisches Accessoire, diesen Anspruch wollen wir wieder forcieren. Unser Schirm wird auch bei schönem Wetter gekauft. Die Leute nehmen sich Zeit für diese Investition. Sie treten heraus aus der touristischen Getreidegasse, hinein in eine Erlebniswelt voll Ruhe und Flair.
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